Zu einigen Problemen der tungusischen Grammatik
Von K. H. MENGES (Columbia University, New York City)
I. Exclusivus und Inclusivus
Im Tungusischen hat die 1. pers. pl. zwei Formen, eine exclusive und eine inclusive. Die Form, die CASTRÉN in seiner kleinen Tungusischen Sprachlehre (Grundzüge einer Tungusischen Sprachlehre nebst kurzem Wörterverzeichnis, St. Petersburg, 1856; posthum veröffentlicht von Anton SCHIEFNER, ins Russische übersetzt von M. G. PEŠKOVA als Основы изучения тунгусского языка und veröffentlicht als Beilage zu E. I. Titov's Тунгусско-русский словарь, Irkutsk, 1926) gibt, ist die des Exclusivs. Für den Inclusiv gibt POPPE Материалы для исследования тунгусского языка, наречие баргузинских тунгусов (= Materialien zur Erforschung der Tun-gusischen Sprache, Dialekt der Barguzin-Tungusen, in: Материалы по Яфетическому языкознанию = Materialien zur Japhetidischen Linguistik, XIII; Akademie der Wissenschaften, Leningrad 1927) p. 9, das Suffix -ra-p/-rä-p/-ro-p. Auch das Mandžu unterscheidet scharf zwischen Exclusiv und Inclusiv: cf. z. B. Ch. de HARLEZ, Manuel de la langue mandchoue, Art. 67, p. 41, wo, allerdings, die beiden Formen nicht als Exclusiv und Inclusiv dargestellt sind. Poppe hat eine eindeutige Beschreibung der beiden Formen als Exclusiv und Inclusiv in seiner grammatischen Einleitung zu dem obengenannten Artikel, p. 7. Wie schon P. Wilhelm SCHMIDT im Kapitel über Exclusiv und Inclusiv in seinem Werk ,Die Sprachfamilien und Sprachenkreise der Erde', p. 327 - 334 gezeigt hat, kommen solche Bildungen hauptsächlich in Sprachgebieten vor, die auch klare Differenzierungen von Numerus in der Gestalt von Dual- und Trial-Bildungen aufweisen. Demgemäß ist deren Vorkommen besonders auffällig im Tungusischen. Der Trial existiert in der ganzen Gruppe, Uralisch sowohl als Altaisch, nicht. Dualbildungen kommen im Uralischen lediglisch im Ugrischen - mit Ausnahme des Ungarischen - und im Samojedischen vor, während das Lappische nur isolierte Resterscheinungen davon aufweist. Aber keine dieser Sprachen kennt den Inclusiv und Exclusiv. Soweit bis jetzt bekannt, ist sein Vorkommen auf das Australische, Papua, Austronesische, Dravidische, Mundä und Tibeto-Chinesische in der Alten Welt beschränkt; vorhanden ist die Opposition Exclusiv:Inclusiv auch in beiden Amerikas, und ganz selten in Afrika. In Südasien scheint der Exclusiv/Inclusiv in der Mundä-Gruppe entstanden zu sein und sich von dort aus über weitere Gebiete ausgebreitet zu haben, wie P. Schmidt und Sten KONOW annehmen. Er kommt vor im Himalaja, in West-Assam und Süd-China. Das Vorkommen von Exclusiv/Inclusiv im Tungusischen kann nur erklärt werden, wenn man annimmt, daß das Tungusische, während es noch in Nord- und teilweise Mittel-China gesprochen wurde, d. h. also im ursprünglichen tungusischen Sprachgebiet (nach SHIROKOGOROFF im III Jahrtausend v. Chr.), den Exclusiv/Inclusiv von einer Sprache oder Sprachgruppe entlehnt hat, die stark vom Mundä beeinflußt gewesen sein muß. Dies könnte das erste linguistische Kriterion für eine chinesische Urheimat der tungusischen Gruppe sein. Bezüglich der Urheimat der Tungusen cf. die entsprechenden Kapitel in S. M. Shirokogoroff's Sociál Organization of the Northern Tungus, Shanghai, 1933, und P. Wilhelm KOPPERS' ,Tungusen und Miao' in den „Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft zu Wien,' Bd. LX, Wien, 1930. Man könnte dagegen einwenden, daß das Tungusische nicht die einzige altaische Gruppe ist, die Exclusiv/Inclusiv besitzt, wie man lange Zeit annahm, sondern daß er auch im Mongolischen vorkommt, zumindest in den älteren Schriftdenkmälern (cf. z. B. N. N. Poppe, Грамматика письменно-монгольского языка, § 47, p. 79; Leningrad 1937). Deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen, daß die Unterscheidung zwischen den beiden Formen im Mongolischen schon früh zu schwinden begann, so daß heutzutage nur noch ein paar morphologische Resterscheinungen davon vorhanden sind. Das Buŕatische z. B. hat keinerlei Differenzierung
der Formen bewahrt: cf. Poppe, Грамматика бурят-монгольского языка, §§-99,141, pp. 107,151; Leningrad, 1938). Die Mandžu-Tungusisclien Sprachen haben ein vollkommen unabhängiges Exclusiv/Inclusiv-System in den Kategorien des Pronomens wie des Verbums entwickelt. Das mongolische Verbum kannte nie die Opposition Exlcusiv/Inclusiv. Im Tungusischen ist dieses System weder rudimentär, noch als Resterscheinung, die ihrem Untergang entgegensieht, vorhanden. Es ist voll entwickelt und räumt der ganzen Gruppe eine Sonderstellung unter den altaischen Sprachen ein. Es ist kein Zufall, daß in der altaischen Gruppe das Mongolische, das eine engere Verwandschaft mit dem Türkischen hat, die Sprachfamilie ist, die wenigstens im Pronomen der 1. pers. pl., in einem gewissen Stadium seiner Entwicklung, die Unterscheidung zwischen Exclusiv und Inclusiv macht; cf. z.B. das moderne Ordos: 1. pers. pl. pron. bida „wir' (excl.) und 1. pers. pl. incl. č'i-bida, č'ī-bida, ťa-bida (s. P. Antoine MOSTAERT, Textes oraux ordos, § 21. 2, p. XXXII; Pei-p'ing, 1937), wobei der Inclusiv vermittels der Komposition des Pron. l. pers. pl. + pron. 2. pers. sing, (č'i) oder 2. pers. pl. (ťa) gebildet ist. Denn in der Periode der früh-Türko-Mongolischen Ursprache, d. h. zur Zeit der gemeinsamen Vorfahren des modernen Türkischen und Mongolischen, waren die südlichen Dialekte, also die Vorfahren des modernen oder historischen Mongolischen, das Bindeglied zwischen Türko-Mongolisch und Mandžu-Tungusisch. In einem anzunehmenden längeren Prozeß von gegenseitigem sprachlichen Einfluß übernahmen diese altaiischen Sprachen von ihrem südlichen Nachbarn diese wichtige und brauchbare Unterscheidung in den beiden Formen der 1. pers. pl.
Soweit dies Problem die Pronomina angeht, so hat Wladyslaw KOTWICZ es in seiner Studie ,Les pronoms dans les langues altaiques' (- Polska Akademja Umiejętności,Prace Komisji Orjentalistycznej, No. 24; Krakow, 1934; 80 pp.), besonders pp. 8fr. behandelt. Kotwicz versucht hier in sehr kluger Weise den Inklusiv als ursprünglichen Dual zu erklären. Vorläufig ist es noch nicht möglich, zu bestimmen, ob dieser Versuch geglückt ist. Ich bin geneigt, es zu verneinen. Ein lebendiger Dual kommt lediglich in den obengenannten Sprachen der Finno-Ugrischen Gruppe vor; im Altaischen hat nur das Türkische Relikte eines alten Duals im Nominal-Suffix -z, während der Dual, wie in der ganzen altaischen Gruppe, nirgends mehr eine lebendige Kategorie darstellt. Es wäre allerdings möglich, daß in lang zurückliegenden Zeiten - vielleicht zur Zeit der Entlehnung desExclusiv/Inclusiv durch das Tungusische - ein Dual-Suffix (dessen dualische Bedeutung vielleicht schon verblaßte?), oder ein Suffix, das mit dem späteren türkischen Dual-Suifix verwandt war, die Funktion des Inklusiv übernahm. Das Evenki-Tungusische Pronomen 1. pers. pl. incl. mitī (Poppe, 1. c., p. 7) scheint ein Kompositum von sehr alten Formen des Pron. pers. 1. pers. sing, mi und der 2.pers. sing. tī zu sein. Dabeim tungusischen Pronomen der Numerus lediglich durch die Qualität des Wurzelvokals bestimmt ist, bleibt die ursprüngliche Numerus-Bedeutung dieser Formen unbestimmbar. Im modernen Evenki hat der Sing, der Pronomina den Wurzelvokal i, der Pl. ụ. Das zweite Element tī entspricht genau der mongolischen Form des pron. pers. sing. 2. pers. *ti > či (cf. Ur-Finno-Ugr. *te-n-/*ti-n-) = Indogerm. tu etc., während das Tungusische wie auch das Türkische alte anlautende Sibilanten aulweisen: Türk. sen „du,' Evenki si, ši, pl. sụ, šụ. Die Hypothese von einer alten Komposition des Pron. 1. pers.incl. mitī < mi + ti wird durch die Bildung der gleichen Form im Ordos bestätigt: č'i-bida, č'ī-bida, die aus den Pronomina der 2. pers. sg. und 1. pers. pl. zusammengesetzt ist, und ťa-bida, die aus den Pronomina 2. pers. pl. und 1. pers. pl. besteht. Die Tatsache, daß die 1. pers. pl. inclus. in Wirklichkeit eine Umschreibung oder Zusammensetzung und keine unabhängige Form ist, liefert ein weiteres Argument zu Gunsten der Annahme einer frühen Entlehnung und gegen die Echtheit von Form wie Idee des Exclusiv/Inclusiv im Altaischen.
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